Handball, Mitteldeutsche Oberliga: Als der Spitzenreiter Radis fünfeinhalb Minuten vor Ende mit 30:26 führte, schien die Partie gelaufen. Dann wiederholte sich der Pokal-Krimi vom Mai 2010 gegen Ronneburg.
SV Hermsdorf – TuS 1947 Radis 32:31 (15:15)
Hermsdorf. „Das war am Ende einfach nur genial. Es hat alles gepasst, vorn wie hinten“, sagte SVH-Handballer Tobias Högl am Sonnabend nach dem Schlusspfiff. Dabei saß er nahe der Mittellinie auf dem Parkett der Werner-Seelenbinder-Sporthalle. Er wirkte fix und fertig, im Arm hielt er seinen Sohn.
Die Hermsdorfer Handballer hatten gerade den Tabellenführer der Mitteldeutschen Oberliga, TuS 1947 Radis, nach einer irren Schlussphase die zweite Niederlage beigefügt. 32:31 (15:15) lautete der Endstand. Dass die Gäste aus Radis, die zuvor nur eines ihr neun Spiele verloren hatten, und zwar beim anderen Thüringer Vertreter HSV Apolda, nach 54 Minuten und 29 Sekunden noch 30:26 führten, interessierte beim Schlusspfiff aus Hermsdorfer Sicht niemanden mehr.
Von der Dramaturgie erinnerte das Spiel an den Pokalkrimi vor fünf Jahren, als die Hermsdorfer im Final Four gegen den HSV Ronneburg einen Fünf-Tore-Rückstand (25:30) noch aufholten und in einen 31:30-Sieg verwandelten. Damals ging es um den Einzug ins Pokalfinale. Am Sonnabend belohnten sich die Hermsdorfer mit den Pluspunkten elf und zwölf.
Mitte der zweiten Halbzeit sah alles nach einen Sieg für den Tabellenführer aus. Radis führte 27:22 (49.), „weil wir nach einer ausgeglichenen ersten Hälfte mit Beginn der zweiten Halbzeit nur noch Stand-Handball gezeigt haben. Dass hat Radis in die Karten gespielt“, sagte Hermsdorfs Trainer Mario Kühne über die nicht so ansehnliche Phase zwischen der 30. und 49. Minute.
Bis zur 54. Minute verkürzte die Heimmannschaft nur dreimal bis auf drei Tore.
Es folgte ein Endspurt, den man wohl nur in der Sportart Handball geboten bekommt: Marvin Schreck stieg aus acht Metern hoch – 27:30. Tobias Högl setzte frech einen Siebenmeter links neben den TuS-Torwart in den Kasten – 28:30. Dann klaute Högl dem Gegner den Ball, lief einen Konter – 29:30. Die Gäste-Bank reagierte – Auszeit. Max Ziemann, der von 2011 bis 2013 in Hermsdorf spielte, stellte den alten Zwei-Tor-Abstand her. Es sollte das letzte Tor sein für den Favoriten. Högl verkürzte weiter – 30:31. Als Schreck von Rechtsaußen verwarf, drohte die zweite Heimniederlage. Die Hallenuhr zeigte die Spielzeit von 58:45 Minuten an. Dann hatte Adam Kiss seine zwei großen Auftritte. Mit einem Konter glich er aus. Da waren noch 54 Sekunden zu spielen. Die offensive Deckung der Hermsdorfer zahlte sich aus. Ein Radiser unterlief ein Schrittfehler. Der Ball ging an die Hermsdorfer, wieder war es Kiss, der 26 Sekunden vor Abpfiff das 32. Tore warf. Im Gegenangriff kassierte Kiss nach einem Foul Rot. Die Gäste, die vorher in Unterzahl standen, waren plötzlich ein Spieler wieder mehr und hatten den Ball. Sieben Sekunden nach Kiss musste auch Scheck vom Feld, auch nach einem Foul. 16 Sekunden waren noch zu spielen. Die vier Feldspieler Hannes Rudolph, Martin Ehm, Stefan Riedel und Stefan Langer verteidigten zusammen mit Petr Nedved das Mini-Polster.
Nedved, der auch im Pokal-Krimi gegen Ronneburg hielt, hatte zu diesem Zeitpunkt längst sein Tor vernagelt. Er parierte drei wichtige Bälle. Nach seiner zweiten Parade wollte er den Ball gar nicht mehr hergeben. Doch die Spielleiter entschieden vier Sekunden vor Schluss auf Freiwurf für Radis. Doch Nedved, der die erste Halbzeit hielt und acht Minuten vor Ultimo für Robert Zehmisch ins Tor wechselte, ließ keine 32. Radiser Treffer mehr zu. Mit dem Fuß wehrte er den letzten Wurf ab. Danach gab es kein Halten mehr auf dem Spielfeld. Die Spieler, Trainer, Offiziellen aus Hermsdorf rissen die Arme nach oben und umarmten sich gegenseitig.
Trainer Kühne war die Erleichterung anzumerken. „Das Wichtigste sind heute die zwei Punkte, ganz klar.“ Nach einer kurzen Denkpause meinte er. „Wir müssen sehen, wie wir die drei Spieler ersetzen können, die heute Rot gesehen haben.“ Mit Matej Fazik (25.) sowie Adam Kiss und Marvin Schreck (beide in der 59. Minute) flogen gleich drei Hermsdorfer mit Rot vom Feld. Und alle drei Roten Karten werden mit einem Sonderbericht versehen. „Sie fehlen uns damit mindestens das nächste Spiel, wenn nicht sogar die nächsten zwei Spiele“, sagte Kühne.
SVH: Zehmisch, Nedved – Högl (5), Riedel (7), Kiss (7), Fazik, Koci, Reis, Rudolph (4), Langer (2), Heilwagen (2), Seime (3), Schreck (1), Ehm (1).
Jens Henning / 30.11.15
Bericht vom Gegener:
Eine unnötige Niederlage hat der Oberliga-Primus TuS Radis beim SV Hermsdorf erlitten. Obwohl der Tabellenführer lange gut spielte zog er am Ende mit 31:32 den Kürzeren. Aber auch die Verfolger patzten.
Handball-Oberliga: TuS Radis verliert, bleibt aber Spitzenreiter | Sport Wittenberg/Jessen – Mitteldeutsche Zeitung –
Radis. Die Oberliga-Handballer von TuS 1947 Radis haben am Samstag das Auswärtsspiel beim SV Hermsdorf 31:32 verloren. Trotz der Niederlage bleiben die Schützlinge von Steffen Fischer Tabellenführer, da Verfolger HSV Apolda (29:30 in Staßfurt) ebenfalls Federn gelassen hat. „Es ist wirklich schade, dass sich die Mannschaft für ein engagiertes Spiel letztlich nicht belohnt hat. Wir haben uns das Spiel des Gegners zu sehr aufdrängen lassen und ein paar individuelle Fehler zu viel gemacht“, meinte TuS-Akteur Kilian Kraft nach dem Abpfiff.
Die Werner-Seelenbinder-Sporthalle war für die angereisten Gäste-Fans leicht zu finden. Sie mussten nur dem Duft der Thüringer Rostbratwürste folgen, die unmittelbar vor der Spielstätte zubereitet wurden. Coach Fischer standen Michal Galia und Patrick Heddrich (beide krank) nicht zur Verfügung. Für Galia sprang Fabian Dyballa in die Bresche, Heddrich fand in Franz Hildebrand einen würdigen Vertreter. Radis stellte von Anfang an unter Beweis, dass man der Tabellenführer in der Oberliga ist. Im Angriff waren Carlo Wittig, Kilian Kraft, Christian Telehuz, Fischer und Hildebrandt die Protagonisten des ersten Abschnitts. Die Heidesieben hatte die Nase vorn (10:7, 13:10) und verwaltete die Führung souverän. In der Schlussphase der ersten Halbzeit ging die spielerische Linie bei Radis etwas verloren. Hermsdorf schaffte bis zum Pausenpfiff den Ausgleich (14:14).
Die Worte von Coach Fischer in der Kabine schienen auf offene Ohren gestoßen zu sein. Denn Radis fand schnell zur alten Dominanz zurück. Der Spitzenreiter agierte ruhig im Positionsangriff und schnell über die Außen. Bis zur 56. Minute ( 30:26) befand sich die Fischer-Truppe weiter auf der Siegerstraße. In der Folgezeit gelang es den Thüringern immer besser, den Gegner in die Bredouille zu bringen. Dies hatte einige Zeitstrafen zur Folge. Mehrere Minuten standen vier Radiser sechs Hermsdorfern gegenüber. Der Vorsprung schmolz dahin. Die Hausherren setzten den Primus gehörig unter Druck und zwangen diesen zur Fehlerproduktion. Das Blatt wendete sich. Plötzlich führte die Heimmannschaft 32:31.
Nach zwei Roten Karten gegen Hermsdorf bekam der Primus in den letzten 20 Sekunden noch einmal die Chance, in Überzahl wenigsten einen Punkt zu retten. Der Versuch blieb ohne Erfolg, der Spitzenreiter musste mit einer Niederlage die Heimreise antreten. Fazit: Ein über weite Strecken überlegen geführtes Spiel wurde am Ende aus der Hand gegeben, weil die bis dahin gezeigte Cleverness plötzlich verloren ging. (mz)
TuS 1947 Radis: Christian Brandt, Fabian Dyballa, Kilian Kraft (7), Sebastian Mensch, Steffen Fischer (4), Marcel Michna, Franz Hildebrandt (2), Max Ziemann (2), Steven Just (3), Christian Telehuz (6), Carlo Wittig (7), Christian Jünemann