Der Euphorie des Derby-Siegs folgt gegen die HSG Werratal 05 nun die Ernüchterung beim SV Hermsdorf
Von Marcus Schulze
Hermsdorf. Pierre Liebelt suchte am Sonntagabend das richtige Wort. „Versagen“, nein, davon wolle er nicht sprechen. Das würde das Dargebotene seiner Mannschaft gegen die HSG Werratal 05 tags zuvor nicht widerspiegeln. Das sei schlichtweg eine Idee zu hart. Vielleicht „Unvermögen“. Oder auch „Fiasko“. So oder so, irgendetwas mit „kollektiv“ davor, schließen hätten alle eine Aktie, ausgenommen die Torhüter, an der Niederlage.
Zwei Welten seien da in der Werner-Seelenbinder-Halle in Hermsdorf am Sonnabend aufeinandergetroffen – und zwar jene von Anspruch und Realität. Der Anspruch seitens des SV Hermsdorf ist, in den eigenen Gefilden eine Macht zu sein und auch generell in der Thüringenliga ein entscheidendes Wörtchen mitzureden. Die – verdammte – Realität gestaltete sich am Wochenende indes ganz anders, denn nach 60 Minuten zierte ein 24:29 (11:12) die Anzeigetafel. „Alle Ziele, die wir uns für diesem Spieltag gesteckt haben, wurden am Ende nicht erfüllt“, so das eindeutige Resümee des Trainers, der nichtsdestotrotz immer noch auf der Suche nach einer stimmigen und knackigen Formulierung für das Debakel war.
Nein, das taktische Agieren seiner Mannschaft müsse man nicht hinterfragen. Diesbezüglich sei alles aufgegangen, gerade wenn es denn seinen Spielern gelang, Werratals Marko Oluic aus dem Spiel zu nehmen. Vielmehr verweist Pierre Liebelt auf einen ganz anderen Aspekt in seinen Reihen: die Chancenverwertung – und plötzlich findet er dann auch jene Wortkombination, mit der er das Defizit seiner Mannschaft gebührend charakterisieren kann: Zum Adjektiv „kollektiv“ gesellt sich quasi noch der Sensenmann in Sachen Torausbeute, weitläufig auch als „Chancentod“ bekannt – und auch gefürchtet. „Kollektiver Chancentod“ also. Er habe noch nicht das Video ausgewertet, doch es müssten 17 absolute freie Chancen gewesen sein, die sein Team nicht in Tore verwandeln konnte.
Insgesamt 14 technische Fehler
Doch der Handballschuh drückte bei Pierre Liebelt auch noch an anderer Stelle, schließlich gab es da noch eine weitere Zahl, mit der er nur äußerst schwer leben könne: 14 technische Fehler. „So viel hatten wir insgesamt in den drei Spielen zuvor.“ Die Rechnung, die der SV-Coach dann präsentiert, ist entsprechend einfach: auf der einen Seite stehen insgesamt 31 Fehler, auf der anderen 24 Tore. „Wenn bei insgesamt 55 Angriffen lediglich 24 Tore herausspringen, entspricht das einer Ausbeute von weniger als 50 Prozent – und damit kannst du auch in der Thüringenliga nicht gewinnen“, bilanzierte Pierre Liebelt, der auch mit der Umsetzung des Tempospiels haderte.
Konnte sich in der ersten Hälfte keines der beiden Teams absetzen, dominierten mit dem Wiederanpfiff so nach und nach die Gäste aus Breitungen das Geschehen. Zu anfangs konnte sich das Team von Joachim Schmidt auf zwei, später auf drei Treffer absetzen, doch der SV Hermsdorf blieb in Schlagdistanz. Dergleichen änderte sich jedoch ab 37. Spielminute, als denn die Gäste binnen vier Minuten ihren Vorsprung auf sechs Treffer (20:14) ausbauten – und davon sollte sich das Team von Pierre Liebelt nicht mehr erholen. Vier Tore, näher kamen die Hausherren nicht mehr an den Gegner heran.
Bis zur 50. Spielminute habe man noch in den Reihen des SV Hermsdorf daran geglaubt, das Spiel drehen zu können, sagte ein sichtbar enttäuschter Felix Reis nach der Partie, der dann auch auf jene Baustelle verwies, die dann auch einen Tag später sein Trainer – am Sonnabend war Pierre Liebelt nicht zum Reden zumute – ausgemacht hatte: die Chancenverwertung. „Jeder hier hat heute gesehen, dass wir keine freien Chancen verwandeln. Und das war unser Genickbruch“, resümierte Felix Reis, der auch betonte, dass das Zusammenspiel der einzelnen SV-Protagonisten von äußerst rudimentärer Natur gewesen sei. Jeder habe so ein bisschen sein eigenes Ding da auf dem Feld gemacht. Die Momente, in denen man geschlossen aufgetreten sei, könne man an einer Hand abzählen. Letztlich habe der nötige Wille gefehlt, an der Situation etwas zu ändern, sagte Felix Reis. Man sei weniger am Gegner gescheitert, sondern an sich selbst.
Man habe es gegen Werratal leider verpasst, nach dem Derby-Sieg gegen Ronneburg die Woche zuvor, die Ambitionen in der Thüringenliga zu untermauern, sagte indes Jan Heilwagen am Sonntag, der dem Spiel der Frauen des SV Hermsdorf beiwohnte. „Ein Sieg wäre ein sehr deutliches Zeichen gewesen“, sagte der Flügelflitzer. Und ja, dass man zu Hause verloren habe, würde besonders schmerzen. Man sei weniger am Gegner, denn an sich selber gescheitert.
Gut fünf Minuten vor Abpfiff der Begegnung fragte ein kleines Mädchen, das eine Trommel vor sich hatte, den neben ihr sitzenden Jungen – ebenfalls mit einer solchen ausgestattet -, ob denn Hermsdorf heute wohl noch gewinnen werde. „Weiß nicht? Sieht schlecht aus“, antwortete der Junge. Tja, Kindermund tut oftmals Wahrheit kund. Klingt massiv nach Floskel, doch in ihrer wahrlich berechtigten Skepsis wurden die Kinder letztlich bestätigt. Und nicht nur die.
SV Hermsdorf: Reis 6, Heilwagen 4, Ehm 3, Friedrich 3, Schreck 3, Remde 2, Hammer 1, Vlad 1, Minas 1, Csikos, Krüger, Nedved, Zehmisch
Otz/Marcus Schulze/24.10.2017
Vorbericht zum Spiel Otz/Marcus Schulze/21.10.2017
Die Schatten der Vergangenheit
Wenn heute die HSG Werratal 05 in Hermsdorf gastiert, trifft Pierre Liebelt auf seinen Heimatverein. Jan Minas wird künftig die Kreuzritter verstärken.
Von Marcus Schulze
Hermsdorf. Die Vergangenheit holt einen ja bekanntlich immer wieder ein. Erst recht in der illustren Welt des Sports. Nicht selten trifft ein Protagonist – sei es auf dem eigentlichen Spielfeld oder auch an der Seitenlinie – auf den einen oder anderen Verein, bei dem er womöglich Jahre zuvor wirkte.
Heute nun wird Pierre Liebelt mit der eigenen Vergangenheit in Sachen Handball konfrontiert, wenn denn die HSG Werratal 05 in der Werner-Seelenbinder-Halle in Hermsdorf gastiert, schließlich hat der SV-Coach bei dem Verein aus Breitungen einst das Handball-Einmaleins gelernt. „Es ist mein Heimatverein, bei dem ich meine ganze Jugend verbracht habe“, sagt der Trainer geradezu rührig. Im zarten Alter von vier Jahren kam er da einst mit der Handballmaterie in Kontakt. Und es war nun nicht so, dass Pierre Liebelt von Anfang an das Tor hütete, spielte er doch bis zur C-Jugend in der Mitte im Rückraum, schob jedoch auch immer mal wieder Dienst zwischen den Pfosten. Eines schönen Tages verletzte sich jedoch der etatmäßige Schlussmann. Es sollte die Geburtsstunde des Torwartes Pierre Liebelt werden. „Anscheinend habe ich meine Sache hinten nicht so schlecht gemacht“, sagt der Trainer und muss auch lachen und schiebt noch hinterher, dass er damals ja nicht gerade der fitteste Spieler auf dem Platz gewesen sei – und die habe man dann halt bevorzugt ins Tor gestellt.
Am Ende lief es für den heute 33-Jährigen richtig gut in Werratal, hütetet er doch das Tor, als denn die Handballer aus Breitungen in der Saison 2003/4 in die 2. Bundesliga aufstiegen. In der zweithöchsten Spielklasse absolvierte er dann auch noch zehn Partien für seinen Heimatverein. Zwar stand er in jenen Tagen bereits auch schon in den Diensten des SV Hermsdorf, doch dank des Zweitspielrechtes konnte er an Werratal ausgeliehen werden, wo sich der eigentliche Stamm-Keeper verletzt hatte. Da sich Werratal in finanzieller Hinsicht übernahm, hatte sich beizeiten das Kapitel 2. Bundesliga erledigt, musste doch Insolvenz angemeldet werden. Ergo: Pierre Liebelt blieb beim SV Hermsdorf.
Darüber hinaus ist jene Gemeinde namens Breitungen auch noch der Geburtsort von Pierre Liebelt. Doch damit nicht genug der biografischen Bezugspunkte mit dem Gegner, verweist doch der Trainer auch noch darauf, dass sich sein Wohnblock direkt gegenüber jener Sporthalle befunden habe, in welcher die Handballer der nunmehrigen HSG Werratal auch heute noch trainieren und ihre Ligaspiele austragen. „Ich musste nur über die Straße laufen“, erinnert sich Pierre Liebelt. Dergleichen kann man getrost als ein Zeichen des Schicksals deuten. Muss man aber nicht.
So ein Stück Vergangenheit trägt Pierre Liebelt dann auch am Donnerstag während des Trainings mit sich herum, zieren doch die Rückseite seiner wahrlich hipsterhaft daherkommende Trainingsanzugjacke, das pfeilartige und grelle Muster der Vorderseite ist absolut angesagt, gelbe Lettern und Ziffern den Stoff, die in gelesener Gänze den Schriftzug SG Werratal 92 ergeben. Es darf also geschmunzelt werden. „Das war eine symbolhafte und auch lustige Geste zugleich, die auf den kommenden Spieltag einstimmen soll“, erläuterte Pierre Liebelt. So mancher seiner Spieler sei der Verweis sofort ins Auge gesprungen, andere hätten ihn erst im Laufe des Trainings bemerkt.
Wenn nun heute das Team von Uwe Schmidt in Hermsdorf aufläuft, werden in dessen Reihen mit Andy Skrzypczak und André Storch zwei Spieler stehen, die Pierre Liebelt einst selbst trainierte, als er denn das Kommando über die B- und auch die C-Jugend in Werratal hatte. Zu sehen, wie sie sich denn entwickelt hätten, darauf würde er sich freuen. Des Weiteren verweist der Coach auf HSG-Protagonisten wie etwa den Ungarn Peter Deli, der auf der rechten Seite – wahlweise Außen oder Rückraum – sehr schnell agieren würde. Dazu würden sich dann noch Spieler wie etwa der Kroate Renato Pauli (Rückraum rechts) und Kreisläufer Tom Winner gesellen. Und dann wäre da noch der Serbe Marko Uluic, der wahlweise im Rückraum rechts oder auf der Mitte spielt.
Aber der Trainer will gar nicht so tief auf das spielerische Portfolio von Werratal eingehen, denn letztlich habe sein Team alles in der Hand – gerade nach dem Sieg über den HSV Ronneburg: „Es gibt keine Ausreden. Schon gar nicht nach dem Derby-Sieg, an den wir anknüpfen müssen. Das muss der nächste große Schritt sein, mit dem wir der Liga signalisieren, dass man an uns erst einmal vorbeikommen muss“, sagt Pierre Liebelt entschlossen. Er wünsche sich, dass seine Spieler heute Abend das umsetzen würden, was sie sich die Woche über erarbeitet haben. Es solle ein souveräner Auftritt seiner Mannen werden, mit dem der Coach samt seinem Team auch allen künftigen Gegnern signalisieren möchte, „dass Spiele in Hermsdorf kein Zuckerschlecken sind“, sagt der Trainer, der die Woche über zudem beobachten konnte, dass denn seine Spieler nach dem Derby etwas entspannter daherkamen.
Wenn nun Holger Posse von seiner DJ-Kanzel geradezu messiashaft die Aufstellung des SV Hermsdorf verkünden wird, sollte da eine Name erklingen, den die Anhängerschaft des SV Hermsdorf bis dato wohl noch nicht vernommen hat: Jan Minas. Der 19-Jährige, der ursprünglich aus Bonn stammt und seit 2013 für den ThSV Eisenach unter anderem in der 2. Bundesliga, Thüringenliga und in der Jugend-Bundesliga spielte, wird nun perspektivisch die Kreuzritter verstärken. Jan Minas, der vor ein paar Wochen seinen Lebensmittelpunkt von Eisenach nach Jena verlegte, um dort ein Studium der Rechtswissenschaften aufzunehmen, kann auf der linken Außenseite sowie auf der Mitte in das Geschehen auf dem Spielfeld eingreifen. „Mein erster Eindruck ist sehr gut. Das ist eine junge Mannschaft. Es macht Spaß, hier zu spielen“, sagte Jan Minas nach dem Training am Donnerstag.
Doch kommen wir noch einmal auf die Jacke von Pierre Liebelt zu sprechen. Diese würde dank doppeltem Polyester massiv zum Schwitzen einladen, wir er denn seine Spieler nach den diversen Übungseinheiten am Donnerstag wissen ließ. Außerdem liebäugelte der Trainer damit, jene für ihn durch und durch emotional besetzte Sportklamotte auf dem virtuellen Flohmarkt eBay anzubieten. Der Grund für besagte Überlegung rührte daher, dass es den Hersteller jenes Textiles schon seit geraumer Zeit nicht mehr geben würde. Seltenheitswert und so.
SV Hermsdorf vs. HSG Werratal 05, heute, 19.30 Uhr, Werner-Seelebinder-Halle Hermsdorf