In einem hochdramatischen Spiel gegen Tabellenführer Mühlhausen kann der SV Hermsdorf mit 21:20 das bessere Ende für sich verbuchen
Von Marcus Schulze
HERMSDORF Es war ein denkwürdiges Bild. Eines, in dem sich Erleichterung und auch Glückseligkeit widerspiegelten. Und so hing dann nach der Partie gegen Mühlhausen am Sonnabend Jan Heilwagen freudetrunken an Robert Zehmisch, hatte ihn fest umschlungen und setzte wahrscheinlich allerlei Endorphine frei. Das dargebotene Spektakel der beiden SV-Protagonisten mutierte zwischenzeitlich fast zu einer – durch und durch männlichen – Handball-Variante von Gustav Klimts „Der Kuss“. Im Moment des Triumphes über den Liga-Primus aus der Müntzer-Stadt verschmolzen Zehmisch und Heilwagen für ein paar flüchtige Momente und beschworen damit das „Wir-Gefühl“, eben jenen Kollektivgedanken, der ja bekanntlich das A und auch das O bei den Mannschaftssportarten ist. Jene höhere Idee, die den Einzelnen auf die Hinterbühne drängt, findet sich dann oftmals in der allgegenwärtigen Phrase „geschlossene Mannschaftsleistung“ wider.
Doch dabei war es am Ende, als es denn in der Werner-Seelenbinder-Halle in Hermsdorf um Sieg oder Remis ging, vielmehr eine Einzelleistung, die darüber entschied. Und es war auch der Fehler eines Einzelnen, der dafür verantwortlich war, dass die Zuschauer während der letzten 30 Sekunden in der emotionalen Achterbahn Platz nehmen durften. Und zwar ganz vorn. Robert Zehmisch spielte versehentlich einen Gegenspieler an, der umgehend den finalen Angriff der Begegnung einleitete. Und so tauchte dann noch einmal Mühlhausens Björn Harder auf der linken Seite vor dem Gehäuse des SV-Schlussmannes auf, der den Ball jedoch parieren konnte. Ein Aufschrei sondergleichen erschütterte umgehend das sportliche Epizentrum da in Hermsdorf. In jenem denkwürdigen Momenten hielt es kaum noch einen Anwesenden auf seinem Platz, bevor denn nur wenige Sekunden später ein weiterer, ein geradezu erlösender Aufschrei folgte, der dem knappen Sieg des SV Hermsdorf gewidmet war.
Robert Zehmisch, an den sich umgehend der kleine Flügelflitzer klammerte, mutierte vom temporären Depp zum Handball-Gott. „Die Schlusssirene war dann wirklich eine Erlösung“, resümierte der Torhüter, der, auch das muss erwähnt werden, beim Stand von 20:19 und vor seinem eigentlichen Fauxpas bereits einen Torwurf entschärfen konnte. „Zum Glück hat der Spieler von Mühlhausen den Ball auf meine Beine geworfen. Ich habe ihn erst sehr spät gesehen“, sinnierte Zehmisch über den letzten Angriff auf sein Terrain.
Mario Kühne leitete an diesem Abend die Geschicke der Kreuzritter, da Coach Pierre Liebelt krankheitsbedingt verhindert war. In den SV-Reihen fehlte zudem Hannes Rudolph, dafür war Stefan Riedel mit an Bord, was wiederum den einen oder anderen Fan sehr freute. „Der Stefan ist wieder da“, verkündete eine treue Seele da auf der Tribüne. Und seine robuste Türsteher-Mentalität da am Kreis sollte dann auch eine Aktie am späteren Erfolg haben. Außerdem gab Zugang Mike Anlauf seine Premiere in der Hölle Ost. In der 14. Minute erhob er sich von der Bank, griff in die Dose mit dem Harz, um anschließend in das Geschehen einzugreifen. Und wie, schrie er sich doch nur wenige Sekunden später die Seele aus dem Leib, da er zum zwischenzeitlichen Spielstand von 8:7 (15.) einnetzte. Ebenfalls eine Premiere. „Tore sind immer geil. Tore sind gut für das Selbstvertrauen“, sagte Mike Anlauf, dessen Eltern bei seiner Heimspiel-Debüt den Weg von Glauchau nach eben Hermsdorf auf sich nahmen.
Die ersten 20 Minuten seitens der Hausherren gebührten jedoch den jüngeren Spielern im Kader des SV Hermsdorf. Jan Minas, Sebastian Hammer, Felix Reis und Cedric Schreiber standen auf dem Feld. Die Scharnierfunktion zwischen Jung und Alt in dieser Anfangsformation übernahm Marvin Schreck, gefolgt von Jan Heilwagen, der zusammen mit Petr Nedved die höheren Semester vertrat.
Jungen Spielern das Vertrauen geschenkt
Das junge Aufgebot schlug sich wacker, spielte am gegnerischen Kreis ein paar wunderschöne Kombinationen – Schreiber, Minas, Reis – und geriet nur ein einziges Mal ins Hintertreffen (2:3/4.), konnte ansonsten jedoch eine leichte Dominanz für sich verbuchen. „Wir müssen den jungen Spielern verstärkt Verantwortung übertragen. Sie sind unsere Zukunft. Wir vertrauen ihnen“, sagte Mario Kühne nach der Partie, der jedoch auch die Bedeutung der Haudegen betonte. „Die brauchst du, wenn es dann eng und auch etwas körperlicher wird“, so der Sportliche Direktor weiter.
Nach dem Wiederanpfiff, jetzt griffen verstärkt die höheren Semester in das Geschehen mit ein, mussten sich die Zuschauer erst einmal in Geduld üben, dauerte es doch über sage und schreibe fünf Minuten, bis denn ein weiteres Tor fiel. Marvin Schreck erlöste das Publikum, bevor Sebastian Hammer den Vorsprung auf vier Zähler (14:10/37.) ausbaute. Es war das 550. Saisontor des SV Hermsdorf ließ Hallensprecher Holger Posse, seines Zeichens nicht nur Schallplattenunterhalter, sondern auch statistisches Gedächtnis in den Reihen der Hermsdorfer, wissen.
Auf das Polster von insgesamt vier Toren kamen die Hausherren erneut in der 43. Spielminute, nachdem die Gäste zwischenzeitlich auf zwei Treffer (12:14) verkürzen konnten, dank Cedric Schreiber – 16:12. Es gelang den SV-Protagonisten jedoch nicht, den Vorsprung zu konservieren oder gar auszubauen. „Es ist immer das Gleiche. Wir schaffen es nicht, den Vorsprung zu vergrößern, stattdessen wird es am Ende richtig eng“, haderte Jan Heilwagen nach der Partie, nachdem sich die erste Euphorie – zumindest etwas – gelegt hatte. Jene Heilwagsche Kritik spiegelte sich dann eben auch im Spielverlauf wider, konnte Mühlhausen in der 52. Minute doch zum 17:17 egalisieren – und ab jenem Zeitpunkt wurden die Nerven der Zuschauer massiv beansprucht. Es war Felix Reis, der mit einem Doppelschlag (18:17/53. 19:17/55.) ein retardierendes Moment einstreute, bevor es dann wahrlich hochdramatisch zuging auf der Handball-Bühne in Hermsdorf.
Zwei erfolgreich verwandelte Siebenmeter der Gäste, die den SV-Schlachtenbummlern die Zornesröte in die Gesichter trieben und im Vorfeld lautstark abgewatscht wurden, bescherten den Handballern aus dem Norden Thüringens den Ausgleich (19:19) in der 56. Minute. Maximilian Remde, der ja in dieser Saison bevorzugt immer dann trifft, wenn die Lage äußerst prekär ist, traf in der 58. Minute zum 20:19, doch nur 20 Sekunden folgte die erneute Egalisierung der Gäste.
Die Zuschauer nun, die zwischen Aufgekratztheit und Argwohn aufgrund des Ausgleichs da auf der Tribüne tanzten, stießen schließlich in höhere Sphären vor, als denn Felix Reis in seiner unnachahmlichen und hochathletischen Art den Ball im Mühlhäuser Gehäuse zum 21:20-Endstand versenkte. So ein bisschen Schiller samt Beethoven lag nun in der Luft: Freude schöner Götterfunken. Doch es sollte noch nicht das Ende der Gefühls-Fahnenstange dank Robert Zehmisch gewesen sein.
Es sei eine Partie auf Augenhöhe gewesen, bei der die Abwehrreihen und die Torhüter das Geschehen dominiert hätten, resümierte Mario Kühne. „Der Torwart von Mühlhausen hat es uns nicht leicht gemacht“, bilanzierte indes Robert Zehmisch. Doch Hermsdorf habe auch gute Torhüter, schob Zehmisch grinsend hinterher.
Hermsdorf: Schreck 2, Reis 5, Schreiber 2, Riedel, Nedved, Hammer 1, Heilwagen 5, Ehm, Zehmisch, Anlauf 1, Remde 3, Krüger, Minas 2
Otz/Marcus Schulze/13.03.2018
Ein Plausch nach der Partie… mit Sebastian Hammer: „Auch daran gewöhnt man sich“
Wie haben Sie denn die Partie erlebt?
Die Kulisse war super, und wir haben in der Abwehr richtig gut agiert. Nur 20 Gegentore vom Tabellenführer, das muss man erst einmal schaffen.
Was ist Ihnen durch den Kopf gegangen, als Mühlhausen den letzten Angriff einläutete?
Ich weiß um die Fähigkeiten von Robert Zehmisch im Tor. Ich habe ihm vertraut.
Es ist Ihre erste Saison hier. Angekommen?
Definitiv. Das ist eine richtig coole Truppe, jedes Spiel und jede Trainingseinheit macht einfach nur Spaß.
…während Sebastian Hammer das Interview gibt, läuft Maximilian Remde vorbei und ermahnt seinen Weimar-Kumpel, bloß keinen Quatsch zu erzählen. Hammer lacht und quittiert jene Worte mit einem augenzwinkernden Kraftausdruck….
Zufrieden mit der eigenen Leistung?
Noch nicht ganz. Mir fehlt noch die Konstanz, ich habe mir auch heute den einen oder anderen Fehler geleistet.
War es ein Vorteil, dass Maximilian Remde schon da war?
Natürlich, das hat es schon einfacher gemacht. Doch ich verstehe mich auch mit den anderen Spielern, gerade mit Tom Friedrich.
Und was ist mit Martin Ehm? Vorhin tanzte er auf dem Stuhl und hörte die für ihn typische Musik.
(lacht) Auch daran gewöhnt man sich. So ist er halt – und dafür lieben wir ihn.
OTZ / 13.03.18