Hannes Rudolph vom SV Hermsdorf über seine Verletzung und wie es sich anfühlt, auf der Tribüne zu sitzen und nicht eingreifen zu können
Von Marcus Schulze
Hermsdorf/Jena. Er kann sich noch genau erinnern. Sogar das Datum kann er ungefragt benennen. Es war der 15. Dezember 2016. „Ich krachte mit Tom Friedrich zusammen. Er rannte hinter mir, ich hatte ihn nicht gesehen und ich drehte mich schlagartig um, so dass wir im vollen Lauf mit unseren Köpfen zusammenstießen. Es war, leider, ein perfekter Treffer“, sagt Hannes Rudolph. Er hätte niemals gedacht, dass der Zusammenprall solche Konsequenzen nach sich ziehen würde. „Ich bin danach sofort wieder aufgestanden, wollte auch nicht zum Arzt, aber unser Physiotherapeut meinte, dass es besser sei, in die Notaufnahme nach Jena zu fahren.“
Noch im Wartezimmer war Rudolph der Überzeugung, dass es nichts Schlimmes sei. Klassischer Fall von „Denkste“, denn die Hiobsbotschaft ließ nicht lange auf sich warten: drei Knochenbrüche im Gesicht. Vier Tage später wurde Hannes Rudolph operiert und hat derzeit zwei Titan-Platten, die wiederum mit zwölf Schrauben befestigt worden, implantiert. Im April werden diese entfernt. Er trägt stets ein Foto bei sich. Natürlich in elektronischer Version, wie es sich für junge Menschen 2017 gehört – sprich auf dem Smartphone. Auf diesem sieht man den Handballer, wie er unmittelbar nach seiner Gesichts-OP aussah. Das Gesicht ist geschwollen, man muss schon zweimal hinschauen, um ihn zu erkennen. Bis zum April nun ist Hannes Rudolph zur Passivität verdammt – und diese würde schmerzen. Gerade wenn er über den SV Hermsdorf sinniert. Er sitze da in schöner Regelmäßigkeit bei den Heimspielen auf der Tribüne, könne aber nicht eingreifen. „Das tut schon verdammt weh“, sagt der 26-Jährige. „Du sitzt da oben, hast dadurch einen ganz anderen Blick auf das Spiel, siehst die Lücken und Räume, die dir auf dem Feld verborgen bleiben, kannst aber nicht helfen“, führt der Rückraumspieler, der wahlweise auf der linken oder der rechten Außenposition agiert, aus.
Handball also. Es wird sehr schnell deutlich, dass es das Metier von Rudolph, der in Jena das Licht der Welt erblickte, jedoch bis zu seinem 19. Lebensjahr in Satdtroda wohnte, jetzt aber wieder in der Universitätsstadt lebt, ist. Doch wer weiß. Vielleicht würde er heute gar nicht Handball spielen, sondern würde dem Fußball fröhnen. Dass es letztlich anders kam, hängt mit einer Begebenheit in Jugendtagen bei Grün-Weiß Stadtroda zusammen, wo er einst kickte. „Ich war richtig gut in der C-Jugend, habe im Sturm gespielt, habe in fünf Spielen zwölf Tore gemacht, es war eigentlich alles super, doch dann hat mich mein damaliger Trainer an meinem Geburtstag nicht zum B-Jugend-Spiel mitgenommen. Da war ich ein bisschen enttäuscht.“
Handball einfach cooler als Fußball
Die quasi gekränkte Fußball-Seele von Hannes Rudolph zog daraus ihre Konsequenz und verschrieb sich nun vollends dem Handball. „Handball fand ich an sich einfach cooler.“ Auf der einen Seite sei da die ausgesprochene körperliche Dimension, auf der anderen die ästhetische. „Handball ist einfach viel schneller, viel technischer, da geht einfach mehr. Beim Fußball fallen sie alle immer gleich um und fangen mit Heulen an. Das ist nicht mein Stil.“
Angefangen hat für ihn alles beim TSV Stadtroda. An einem „Schnuppertag“ in der 4. Klasse in der Hügellandschule kam er erstmals mit dem Handball in Kontakt. Rudolph war sofort Feuer und Flamme. Und dann wäre da noch ein anderer Punkt, den er rückblickend nicht so einfach ignorieren könne: seine Mutter, Sybille Rudolph, spielte ebenfalls Handball, hütete bei den SV-Damen viele Jahre das Tor. Er sei quasi familiär vorbelastet.
Begeisterung ist oftmals die eine Seite der Medaille, Talent die andere. Bei den C-Junioren habe sich herauskristallisiert, dass es an Talent nicht mangeln würde. Uwe Remme vom SV-Hermsdorf wurde auf ihn aufmerksam, holte ihn nach Hermsdorf. „Er stellte mich vor und betonte sofort, dass ich künftig hier spielen werde. Er hat es quasi festgelegt.“ Den Qualitätsunterschied habe er bereits bei der ersten Übungseinheit gemerkt. Und ja, es sei ein Unterschied, ob man denn gegen Meuselbach 2 spiele oder gegen den Nachwuchs vom ThSV Eisenach, die fast täglich trainieren würden.
Rudolph durchlief ab den C-Junioren alle Stationen beim SV Hermsdorf, schaffte es in der 2. Männermannschaft, allein der Sprung in die 1. blieb ihm – vorläufig – verwehrt. Da klopfte der HSV Apolda an die Tür, der gerade Meister in der Thüringenliga geworden war und fragte bei dem damals 21-Jährigen nach, ob er denn nicht Lust hätte, in der kommenden Saison in der Mitteldeutschen Oberliga zu spielen. „Das Angebot habe ich natürlich dankend angenommen. Ich habe zwar nicht viel gespielt, konnte aber eine Menge Erfahrung sammeln.“ Der HSV Apolda konnte sich jedoch nicht in der Mitteldeutschen Oberliga behaupten, stieg ab und Rudolph wechselte 2012 zum SV Hermsdorf. Seit diesen Tagen ist er mit an Bord und es würde nicht an schönen Momenten mangeln. „Das ist ja das Schöne am Mannschaftssport, dass man die positiven, aber auch die negativen Momente miteinander teilen kann.“
Zurzeit würden jedoch die negativen Momente beim SV Hermsdorf dominieren. Es sei schade, dass es mit Steffen Schreiber nicht funktioniert hätte, mitunter habe das oftmals nötige Quäntchen Glück gefehlt. „Es hätte auch anders laufen können.“, resümiert Hannes Rudolph, der nichts auf seinen einstigen Trainer kommen lassen möchte.
Und Pierre Liebelt? „Pierre ist ein junger, bissiger Typ, der aufgrund seiner fachlichen Ausbildung äußerst kompetent ist. Ich halte ihn, trotz seines jungen Alters, für einen sehr guten Trainer.“
Blickt er auf das Team, macht er eine große Baustelle aus, die sich da im Rückraum befinde. „Aufgrund der Abgänge von Adam Kiss und Daniel Zelé fehlt uns da einfach noch ein wenig die Qualität, die die jungen Spieler wie Maximilian Remde und Felix Reis nicht einfach so kompensieren können. Man kann ihnen keinen Vorwurf machen, ihnen fehlt schlichtweg die Erfahrung, doch sie verfügen über das Potenzial.“ Die Verletzung von Torgarant Sebastian Triller würde ihr Übriges beisteuern. Dann wären da noch die personellen Abgänge am Kreis, in der vergangenen Saison hätte der SV viele Tore über den Kreis erzielt. Einen Spieler wie Matej Fazik, könne man in der Abwehr nicht einfach so ersetzen. Gleiches würde auf Offensiv-Kreisläufer Michael Seime zutreffen, der jetzt für den HC Burgenland aufläuft. Ebenso der Weggang von Tobias Högl. Und dann eben der Verletzte Hannes Rudolph.
Beim Skaten früher ordentlich zerlegt
Generell sollte man Hannes Rudolph nicht ausschließlich auf Handball reduzieren. Dafür bewegt sich der Student, der an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena Soziologie und Sportmanagement studiert, zu sehr in der Subkultur. Er arbeitet nebenbei in einem Skateboard- und Fashion-Shop im Herzen der Saale-Stadt und hört bevorzugt Hip-Hop. Ja, das Skateboard, da gab es einmal eine Zeit in seinem noch recht jungen Dasein, in der sich das Brett mit den vier Rollen massiv in der Vordergrund drängte. „Ich war damals 19 oder so, bin viel mit dem Brett gefahren und habe mich auch in schöner Regelmäßigkeit zerlegt und konnte deshalb nicht trainieren“, erinnert er sich. Irgendwann habe ihn Uwe Remme zur Seite genommen und ihm zu verstehen gegeben, dass er sich entscheiden müsse. Skaten habe ihm viel Spaß bereitet, zweifelsohne, doch letztlich sei da Verletzungsrisiko zu groß gewesen. So ganz kann er es dann aber doch nicht lassen. Jenseits der Saison, bevorzugt im Sommer, greife er hin und wieder zum Brett und fährt entspannt in der Minirampe. Und auch den einen oder anderen Trick („Flip“) beherrsche er immer noch.
Aktuell darf er keinen Sport treiben, doch ab dem kommenden Monat möchte er sich im Fitnesscenter auf die neue Saison vorbereiten, in der er auch für den SV Hermsdorf auflaufen wird – auch wenn der Verein absteigt. Und natürlich wird er heute wieder auf der Tribüne sitzen und das Spiel gegen den HC Glauchau/Meerane verfolgen und sich ärgern, dass er nicht eingreifen kann.
Otz/Marcus Schulze/18.02.2017